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13.04.2011

Betreff: AW: Kürzen/Kupieren der Ferkelschwänzchen vom 13.04.2011

Hallo susanne,

Aber ich sehe schon >einige Fälle von sinnlosem Leiden, z. B. nicht rechtzeitig gemerzte Tiere.
>Dies übrigens auch in der Rinderpraxis, teilweise bei ausgewachsenen
>altgedienten Milchkühen! Hier spielt eine Gedankenlosigkeit eine Rolle,
>die niemandem nützt, sondern eher zu einer inneren Unzufriedenheit
>führt, denn irgendwo innen drin weiß jeder, daß es besser ist, die
>Tiere nicht leiden zu lassen.

Erlaube mir, dass ich hier nachfrage: Ist es wirklich Gedankenlosigkeit?
Ich sehe es oft anders - es ist ein "Meideverhalten" wie man es auch aus der Hobbytierhaltung kennt.

Es gibt einen schönen Spruch dazu, den ich gern zitiere (egal ob Haus- oder Nutztiere) "Wir haben den Tieren die Freiheit genommen - jetzt haben wir auch die Verpflichtung ihnen das Raubtier zu ersetzen!"

Kennst du Prof. Grandin? Ihre Literatur gehört eigentlich in die Grundausbildung: Fluchttiere verstecken Schmerzen und leiden leise (in der Regel).
Das ist die eine Seite - die sehe ich wie du. Wir können relativ lange zuschauen wenn es einem Tier nicht gut geht, da es Leid gut "kaschiert"
(sonst steht in der Natur "friss mich!" auf der Stirn. Überlebensprogramm)

Woher kommt die von dir benannte "Unzufriedenheit"? Aus dem Wissen was richtig wäre - es emotional nicht über sich zu bringen: Ich erlebe es bei Tierhalter - nicht als Gedankenlosigkeit.

Sondern: Das die Tötung eines Tieres ihnen oft schwerfällt. Oder allein die Entscheidung dazu zu treffen.
Denn - die Bindung ans Einzeltier - ist bei Kühen (Lebensdauer, Kuhname, Kindchenschema/Mimik/Fell?) enorm hoch. Wie beim Pferd/Hund auch.

Aber auch in der Schweinemast habe ich es schon erlebt, dass die Hemmschwelle tatsächlich ein Tier zu töten - emotional hoch ist. Die Verantwortung dafür zu übernehmen zu sagen: Jetzt ist gut. Nicht jeder Tierhalter erträgt z.B. Schlachtung/Schlachthof. Oder gar selbst Hand anzulegen.

Das ist das Leid/Zwiespalt, die mancher Tierhalter gut versteckt? Das ihm auch von der Gesellschaft (Nutztierhalter = aus-/benutzer = keine Emotion Tierleid...?) abgesprochen wird?
Wo Leute, die selbst das Einschläfern = Töten von Haustieren an den Tierarzt auslagern sich erlauben über Landwirte zu urteilen?

Und auch - mit einer Injektion "sanft" einzuschläfern (Option die der Tierarzt hat) ist eine andere Art - als mit einem Bolzenschuss/Kehlschnitt oder Kopfschlag (Geflügel) "mit physischer Gewalt" ein Tier (ich kann schlachten) zu töten.
Früher konnte man das an den Schlachthof "auslagern" - heute (Transport-VO) nicht mehr. Das ist einfach eine Hemmschwelle, die ich niemanden vorwerfen würde.

Und das finde ich nun das Schwierige - zum einen soll der Landwirt hier "entschlossen" reagieren bei dem Thema ein Leben mit eigenen Händen zu beenden/bei Notwendigkeit, auf der anderen Seite soll ihm Schwanz-Kupieren/Kastrieren emotional etwas "ausmachen/Gedanken machen". Emotionen sind kein Lichtschalter.

Und hier - ist das Erleben von Kannibalismus im Stall ein so erschreckendes, prägendes Erlebnis, dass ich keinem Tierhalter vorwerfen würde: Hier lieber kurz / alle Schwänze zu kupieren/diese Tätigkeit in Kauf zu nehmen - wenn man Kannibalismus erlebt hat und dies Bilder, wo man sich als Tierhalter so hilflos fühlt, wenn man es nicht eingedämmt bekommt.
Lieber Schwänze kurz/sauber kupiert - als kannibalisch/verstümmelte/gelähmte/Entzündungsferkel-/schwein notzutöten. Ich kann das voll verstehen.

Gruß Mirjam

Antwort auf:

Mirjam, du sprichst mir aus der Seele. Das Problem ist größer als ein Ferkelschwänzchen. Gerade deswegen finde ich es wichtig, daß wir uns ab und zu mal vor Augen führen, was wir mit unseren Haustieren alles so anstellen, damit ihre Haltung sich lohnt. Ich spreche nicht von Profitgier sondern einfach vom Verdienen eines angemessenen Lebensunterhaltes, und ich glaube auch nicht, daß irgendjemand GERNE Schwänze kupiert. Aber ich sehe schon einige Fälle von sinnlosem Leiden, z. B. nicht rechtzeitig gemerzte Tiere.
Dies übrigens auch in der Rinderpraxis, teilweise bei ausgewachsenen altgedienten Milchkühen! Hier spielt eine Gedankenlosigkeit eine Rolle, die niemandem nützt, sondern eher zu einer inneren Unzufriedenheit führt, denn irgendwo innen drin weiß jeder, daß es besser ist, die Tiere nicht leiden zu lassen.
Programme wie in der Schweiz halten natürlich auch die Endverbrauchspreise hoch. Ohne geradezu hysterische Einfuhrbeschränkungen leider nicht machbar.
Susanne



Antwort auf:

Hallo Susanne Petersen,

>Ich habe schon schlimmen Kannibalismus in konventionellen Betrieben
>gesehen, der durch Maßnahmen der Fütterung und Lüftung, manchmal auch
>durch das Angebot von Beschäftigungsmaterial zu beeinflussen ist. Das
>zeigt, daß man

>sich hier viele Gedanken machen sollte, obwohl wir in den meisten Haltungen nicht auf das Kupieren verzichten können.

So sehe ich es auch: Wir haben momentan noch viele Hausaufgaben - und viel (finanziell) dünne Luft in der Mast, als das man pauschal fordern könnte: Auf Schwanzkupieren ebs mal zu verzichten - gerade beim Trend zu Robust/Aktivrassen.

Natürlich ist das Kupieren eine Amputation - genau so wie das Enthornen bei Rindern oder das Kastrieren von Hengsten & Hunden "um sie der Haltung/Menschenumgang" anzupassen zum einen, aber auch um Schaden (untereinander) zu minimieren.

Mir fehlt aber dabei - das jeder Ferkelerzeuger wohl gern auf Kastrieren/Schwanzkupieren als Tätigkeit verzichten würde - wenn nicht die offenen Fragen/Forderungen aus der Mast da wären - bei einer Produktion die sich am Weltmarktpreis messen muss.

Die Tierschutzdebatte - z.B. das anvisierte Tierschutzlabel innerhalb des Aktionsplanes - macht mir schon große Sorgen, v.a. weil hier "Vorbilder" herangezogen werden (Öko-Schweinehaltung bei 0,4 % Marktanteil) oder Schweiz bzgl. Haltung/Auslauf.

Nur eine Anmerkung - soweit ich es recherchiert habe hinsichtlich Finanzierung solcher Haltungssysteme/Vorbilder:

Die Schweiz fördert Tierhaltung mit sog. Ethobeiträgen. Ich hab das nachfolgend bei einem Wechselkurs von 1 Euro = 1,3 Franken umgerechnet.
Hier gibt es zwei Haltungsnormen - BTS (besonders tiergerecht) und RAUS (Regelmäßiger Auslauf im Freien).

Die Förderung - bitte um Korrektur falls nicht stimmig - ist hier abgelegt: http://www.gesetze.ch/sr/910.13/910.13_017.htm

BTS (besonders tiergerechte Haltung)
Mastschwein: 155 Franken = 124 € / GV / Jahr Rinder über 120 LT 90 Franken = 72 € / GV/Jahr Geflügel 280 Franken = 224 € /GV/ Jahr

RAUS
Mastschweine 155 Franken = 124 € GV / Jahr Sauen o. Ferkel 360 Franken = 288 € / GV Jahr Rinder 180 Franken = 144 € / GV / Jahr

Nur um einmal ein Überblick zu bekommen - die Schweizer bezahlen diese Art der Tierhaltung "doppelt"
heißt einmal über die Direktzahluns-VO (Steuergelder?) und dann nochmal bei der Vermarktung in Markenfleischprogrammen.

Ich finde es sehr bedenklich, dass hier dann Landwirten die 82 Mio (preisbewußte) Deutsche mit Schweinefleisch versorgen "Karotten" hingehängt werden aus Produktionsrichtungen (Aufwand qm/Schwein/Auslauf/Beschäftigung)

die a) keinen nennenswerten Marktanteil haben und b) mit einer derartigen Förderung ausgestattet sind.

Mir ist klar - nur wie kommunizieren? - das es Tierwohl nicht zum Schnäppchen/Sonderangebotspreis gibt, aber wenn ich dann wieder Untersuchungen lese, bei denen bestätigt wird, dass die Rabattjagd (auch bei Fleisch) im Hirn des Menschen eine ähnliche Wirkung wie Kokain auslöst (Belohnungssystem), dann macht mich das sehr mutlos bzgl. Schere was der Wähler will - aber als Bürger nicht bezahlt.

Gruß Mirjam Lechner