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BLUP-Zuchtwertschätzung – Alter Hut oder immer noch Buch mit 7 Siegeln?

Dr. Holger Looft, PIC Deutschland GmbH, Schleswig 

Vereinfacht gesagt geht es wie überall in der Tierzucht auch beim Schwein darum, die besten Väter und Mütter zur Erzeugung der folgenden Generation möglichst frühzeitig anhand objektiver Informationen auszuwählen. Nun ist das sogenannte „Züchterauge“ bei dieser Selektion sicherlich wichtig und hilfreich um zunächst die Spreu vom Weizen zu trennen, nach wie vor gelingt es aber auch den versiertesten Züchtern nicht, ohne statistische Hilfsmittel die Leistung von Zuchttieren mit der erforderlichen Genauigkeit vorherzusagen. Eine Zuchtwertschätzung ist daher notwendig, um über die ermittelten Zuchtwerte die Qualität der Erbanlagen eines Zuchttieres in bestimmten Merkmalen wie z. B. Tageszunahme zahlenmäßig korrekt wiedergeben zu können. 

Leider sind die Erbanlagen bzw. der Zuchtwert abgesehen von Merkmalen, die heute über genetische DNA-Marker bereits analysiert werden können, in der Regel nicht direkt messbar. Es gilt also, aufgrund direkt messbarer Eigenleistungen eines Tieres (=Phänotyp) mit Hilfe von statistischen Methoden auf die nicht messbare genetische Leistungsveranlagung (=Zuchtwert) eines Tieres möglichst genaue Rückschlüsse zu ziehen. 

Die Eigenleistung eines Tieres wird nicht nur durch den Zuchtwert bestimmt, sondern hängt bei vielen Merkmalen sehr stark von den jeweiligen Umweltbedingungen wie z.B. Haltungs- und Fütterungsverfahren ab. So wird ein genetisch hochveranlagtes Schwein bei schlechter Fütterung oder niedrigem Gesundheitsstatus nicht sein vorhandenes genetisches Potential ausreizen können, sondern beispielsweise lediglich durchschnittliche Zunahmen haben. Gesundheitsniveau, Haltung, Stallklima, Fütterung usw. wirken auf alle Schweine gleich ein, aber auch andere nichtgenetische Faktoren tragen zur Leistung eines Schweines bei. So wird z. B. die gemessene Rückenspeckdicke durch das Gewicht beeinflusst oder die Anzahl lebend geborener Ferkel durch die Wurfnummer. Auch diese Einflüsse müssen berücksichtigt werden, um Schweine gleicher genetischer Veranlagung fair miteinander vergleichen zu können. Es geht also bei einem guten Zuchtwertschätzverfahren im Wesentlichen darum, zwischen Umwelteinflüssen und Genetik zu unterscheiden.

Prof. Henderson hat bereits in den 50er Jahren in den USA das sogenannte BLUP-Verfahren (Best LinearUnbiased Prediction oder zu deutsch Beste Lineare Unverzerrte Vorhersage) nach dem Tiermodell entwickelt, welches die geforderte bestmögliche Trennung von Umwelt und Genetik erlaubt. Dieses Verfahren fand zunächst keine praktische Anwendung, da die EDV seinerzeit noch in den Kinderschuhen steckte. Seit 1991 aber sollte die BLUP-Zuchtwertschätzung auch für jede Schweinezuchtorganisation das Verfahren der Wahl zur möglichst genauen Bestimmung des Zuchtwertes eines Zuchtschweins sein. 

Der „Zuchtfortschritt“ in der EDV hat mittlerweile den Zuchtfortschritt in der Schweinezucht deutlich überrundet: Die enorme Leistungssteigerung in der Computertechnologie gerade in den letzten 10 Jahren dank Bill Gates und seiner Kollegen eröffnet heute ungeahnte Möglichkeiten in der Schweinezucht für die erweiterte Anwendung dieses Verfahrens. Basis der PIC Global Zuchtwertschätzung nach BLUP-Tiermodell ist heute eine Zentrale Datenbank, GeneCare genannt und auf dem Oracle-System basierend, die mittlerweile 3.3 Millionen PIC Zuchttiere über mehr als 10 Generationen in Nukleus-, Vermehrungs- und Kundenbetrieben in USA und Europa beinhaltet. Für Europa fließen die Daten von 600.000 Zuchttieren in die gemeinsame einheitliche BLUP-Berechnung ein und die BLUP-Zuchtwerte der 40.000 noch lebenden Tiere, die von eigentlichem Interesse sind, werden täglich aktualisiert bzw. auf den neuesten Stand gebracht. Von der Datenflut her ist dieses Zuchtsystem vielleicht mit dem Einwohnermelde- und Standesamt einer Großstadt wie Berlin vergleichbar, bei dem auch noch alle Schulzensuren der Kinder mit in der EDV gespeichert werden müssten. 

Das Medium Internet hat bereits und wird auch zukünftig neue Anwendungen ermöglichen. Mittlerweile kann auch der Datentransfer selbst bereits länder- bzw. im konkreten Beispiel PIC auch kontinentübergreifend per Internet erfolgen, über das dann auch die entsprechenden Informationen, Zuchtwerte etc. für die Zuchtbetriebe wieder online bereitgestellt werden.

In der Schweinezucht arbeitet das BLUP-Verfahren mit dem Tiermodell, in dem jedes Tier unabhängig von seinem Geschlecht und den zur Verfügung stehenden Leistungsinformationen ganz individuell und unter Einbeziehung der verwandtschaftlichen Beziehungen mit anderen Tieren betrachtet wird. Ein Tier erhält seine Erbanlagen zu gleichen Teilen vom Vater und von der Mutter. Können die Zuchtwerte der Eltern ausreichend genau geschätzt werden, kann auch der Zuchtwert der Nachkommen entsprechend sicher vorhergesagt werden. Die Zuchtwerte der Eltern wiederum lassen sich aus den Informationen ihrer Eltern, der Großeltern, bestimmen und deren Zuchtwerte aus den Leistungen ihrer Eltern, der Urgroßeltern usw.. Gleichermaßen tragen die Leistungen von Vollgeschwistern, Halbgeschwistern etc. zur Erhöhung der Genauigkeit der Zuchtwertschätzung bei. 

Kurzum: Alle bekannten lebenden oder bereits toten Verwandten leisten ihren Beitrag zur Zuchtwertschätzung eines Tieres. Die Leistungen der Nachkommen beeinflussen wiederum die Zuchtwerte ihrer Eltern und deren Eltern sowie ihrer weiteren Verwandten. Nahe Verwandte sind dabei mit einem höheren Gewicht an der Zuchtwertschätzung eines Tieres beteiligt als weiter entfernte Verwandte. 


Der BLUP-Zuchtwert eines Tieres setzt sich zusammen aus
  • a) seinem Erwartungswert (Abstammungszuchtwert), berechnet aus den Informationen seiner Ahnen (Eltern, Großeltern etc.) sowie Seitenverwandten (Voll- und Halbgeschwister etc.)
  • b) der auf Umwelteinflüsse korrigierten Leistungsabweichung des Tieres
  • c) dem mittleren auf das Anpaarungsniveau korrigierten Nachkommenzuchtwert.

Für jedes Tier, das in die BLUP-Zuchtwertschätzung eingeht, wird für jedes Zuchtwertschätzmerkmal ein Zuchtwert geschätzt, egal ob dieses Merkmal an dem Tier gemessen wurde oder nicht. So erhalten z. B. Jungsauen einen Futteraufnahme-Zuchtwert, auch wenn dieses Merkmal nur bei ihren männlichen Verwandten gemessen wurde. Umgekehrt erhält jeder Jungeber einen Zuchtwert für die Anzahl der lebend geborenen Ferkel und deren Geburtsgewichten, obwohl dieses Merkmal an ihm selbst direkt nicht messbar ist.

Die Zuchtwerte werden nicht einmalig festgeschrieben sondern laufend aktualisiert, d. h. wenn neue Leistungsdaten bzw. Informationen einfließen, die ein Tier betreffen, können täglich neue aktuelle Zuchtwerte berechnet werden. Mit Hilfe dieser Zuchtwerte lassen sich alle Tiere innerhalb einer Population genetisch rangieren. Die Zuchtwerte werden dabei „abgeschrieben“: Da unter der Voraussetzung, dass eine Zuchtorganisation Zuchtfortschritt macht, jüngere Tiere durch den Zuchtfortschritt leistungsstärker sind als ältere Tiere, haben durch entsprechende Standardisierungsmaßnahmen jüngere Tiere in der Regel höhere Zuchtwerte während die Zuchtwerte älterer Tiere sich laufend verringern. Ein direkter Vergleich über Generationen ist somit möglich. 

Alle Tiere innerhalb der Zuchtwertschätzung sind miteinander aber auch über alle Betriebe vergleichbar, wenn die Betriebe genetisch, z.B. über den Einsatz derselben Besamungseber, miteinander verknüpft sind.


Vorteile der BLUP-Zuchtwertschätzung auf den Punkt gebracht:
  • eine genauere Schätzung ermöglicht höheren Zuchtfortschritt
  • alle wichtigen Umwelteinflüsse werden berücksichtigt, eine Trennung dieser von den genetischen Einflüssen wird bestmöglich durchgeführt
  • auch Umwelteinflüsse sind quantifizierbar 
  • Alle Eigen- und Verwandtenleistungen werden miteinbezogen
  • Der Zuchtfortschritt kann als sogenannter genetischer Trend berechnet werden
  • Alle Tiere einer Zuchtpopulation sind direkt miteinander vergleichbar
  • Die Zuchtwerte können laufend aktualisiert werden

Wie gestaltet sich nun der praktische Ablauf der BLUP-Zuchtwertschätzung?

Da in der PIC Zuchtwelt täglich neue Daten in die GeneCare-Datenbank einfließen und auch jeden Tag aufs Neue irgendwo in der Welt zu entscheiden ist, ob z.B. ein Jungeber mit seinen Genen zur nächsten Generation beitragen darf bzw. ein älterer Eber auf einer Besamungsstation weiterhin Nachkommen produzieren kann, wird täglich von der PIC Zentrale Schleswig aus eine Zuchtwertschätzung durchgeführt. Es werden verschiedene Läufe, getrennt z.B. nach Mutterlinien (Landrasse, Large White etc.), Vaterlinien (Pietrain, Hampshire etc.) oder bestimmten Gruppen von Betrieben durchgeführt. Der Datensatz der Leistungsdaten wird dabei zunächst mit dem Datensatz der Abstammungen verknüpft. Danach erfolgt die eigentliche Zuchtwertschätzung nach BLUP-Verfahren und Tiermodell, die dann für jedes Merkmal und jedes Tier entsprechende BLUP-Teilzuchtwerte liefert, die angegeben werden als Abweichung vom Mittel der gesamten Population in den jeweiligen Maßeinheiten des Merkmals, z. B. + 0.1 lebend geborene Ferkel und –50g Tageszunahme für Eber A der Linie X. Diese Zuchtwerte bedeuten, dass der genetische Wert des Ebers A um 0.1 lebend geborene Ferkel besser und um 50g Tageszunahme schlechter ist als das Populationsmittel der Linie X. 

Die Teilzuchtwerte werden mit den ökonomischen Gewichten multipliziert, die einerseits aufgrund der realen Bedeutung eines Merkmals für die Gesamtwirtschaftlichkeit festgelegt werden können, aber unabhängig davon alternativ auch mit entsprechendem Gewicht in Richtung der jeweiligen Zuchtziele quasi als Steuerungselement festgesetzt werden können. So wird in der Regel in den Vaterlinien z.B. der Fleischanteil höher gewichtet als in den Mutterlinien. Andererseits können Linien, die in wichtigen Merkmalen Nachteile aufzeigen, durch entsprechende ökonomische Gewichtung auf den richtigen Weg gebracht werden. Nach erfolgreicher Stresssanierung der Mutterlinien, parallel dazu aber auch von Vaterlinien wie Pietrain, per MHS-DNA-Test seit Anfang der 90er Jahre, wird die ökonomische Gewichtung von Fleischqualitätsmerkmalen andererseits entsprechend reduziert werden können.

Die Addition der Produkte aus BLUP-Teilzuchtwerten und ökonomischen Gewichten ergibt den BLUP-Gesamtzuchtwert oder auch BLUP-Index. Man versteht darunter den monetären Vorteil der Nachkommen eines Zuchttieres ausgedrückt in DM im Vergleich zum Durchschnitt der Population, wobei nur die Hälfte anzusetzen ist, da ja von einem Elter nur die Hälfte der Gene an seine Nachkommen weitergegeben wird. 

Um die Gesamtzuchtwerte besser interpretieren zu können, wird das Mittel aller Zuchttiere, bei verschiedenen Zuchtorganisationen aber auch z.B. ein bestimmter Geburtsjahrgang oder auch eine gleitende Bezugsbasis von Tieren, gleich 100 gesetzt und die Standardabweichung der BLUP-Indexpunkte auf 20 eingestellt. Der Zuchtwert schließt die Sicherheit der Zuchtwertschätzung mit ein: Tiere mit ungenauen Zuchtwerten aufgrund unzureichender Leistungsinformationen werden stärker zum Mittel regressiert als Tiere mit genauen Zuchtwerten.

Die linienspezifischen BLUP-Teilzuchtwerte und BLUP-Gesamtzuchtwerte werden anschließend wieder in die GeneCare-Datenbank eingetragen. Bei Tieren ohne bisherigen Zuchtwert erfolgt ein Ersteintrag, der solange bestehen bleibt, bis auf Grund neuer Leistungsinformationen des Tieres selbst oder seiner Verwandten eine Aktualisierung notwendig wird. Täglich erfolgt ein Update der Zuchtwerte aller lebenden Tiere.

Zur Vergleichbarkeit von Zuchtwerten ist zu sagen, dass ein Zuchtwert immer nur in der Population gilt, in der er geschätzt wurde. Wenn keinerlei genetische Verknüpfungen bestehen, ist es also nicht möglich z.B. Eber verschiedener Zuchtorganisationen aufgrund des BLUP-Zuchtwertes miteinander zu vergleichen. Unterschiedliche statistische Modelle, unterschiedlich definierte Bezugsbasen und Standardabweichungen für die Standardisierung, unterschiedliche Merkmale und ökonomische Gewichtungen sowie generelle mögliche genetische Niveauunterschiede zwischen verschiedenen Populationen machen einen Vergleich unmöglich. 


Aufgrund dieser bestehenden Unterschiede lässt sich also nicht sagen, ob z.B. Eber A der Zuchtorganisation X mit einem BLUP-Gesamtzuchtwert von 140 leistungsstärker ist als Eber B der Zuchtorganisation Y mit einem BLUP-Gesamtzuchtwert von 130. Eber A ist in seiner Population zwar um zwei Standardabweichungen besser als das Populationsmittel, dies bedeutet aber nicht, dass er in einer anderen Population auch so rangiert würde. Er könnte besser, aber auch schlechter eingestuft werden. Eine Vergleichbarkeit ist nicht gegeben und eine Umrechnung der Zuchtwerte ist nicht durchführbar. 

Würde Eber A nun in Zuchtorganisation Y eingesetzt werden, so würde sein BLUP-Gesamtzuchtwert zunächst diesem Populationsmittel gleichgesetzt werden, da er in dieser Population ein unbeschriebenes Blatt ist bzw. andere Daten aufgrund der oben genannten Gründe keine Berücksichtigung finden dürfen und die BLUP-Teilzuchtwerte somit gleich 0 gesetzt werden. Sein BLUP-Gesamtzuchtwert entspricht demzufolge solange dem Populationsmittel 100, bis er selbst eigene Nachkommen mit Leistungsinformationen produziert hat, aufgrund deren Leistung eine Einschätzung seines genetischen Niveaus vorgenommen werden kann. 

Um eine faire Einstufung dieser Tiere und ihrer Nachkommen aus fremden bzw. genetisch nicht verknüpften Populationen, die es aufgrund der statistischen Voraussetzungen nicht einfach haben, zu erreichen, bildet man im Rahmen der Zuchtwertschätzung für diese Tiere sogenannte genetische Gruppen.

Das BLUP-Verfahren wird zusätzlich als Managementhilfe für die Beratung und Kontrolle der Zuchtbetriebe herangezogen, da neben dem genetischen Niveau der Betriebe auch das umweltbedingte Niveau bzw. Umwelttrends aufgezeigt werden.

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