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Untersuchungen zur Pathogenese des Postweaning Multisystemic Wasting Syndroms

Dr. V. F. Ohlinger, S. Pesch, bioScreen European Veterinary Disease Management Center GmbH, Münster 

Herr Dr. Ohlinger ist Fachtierarzt für Mikrobiologie und Serologie, er beschäftigt sich intensiv mit der Virologie und war längere Zeit in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten in Tübingen tätig. Nach einer Tätigkeit im staatl. Veterinäruntersuchungsamt Münster wechselte er in die Geschäftleitung von Bioscreen. Dieses Diagnostiklabor beschäftigt sich ausschließlich mit Schweinekrankheiten, insbesondere mit der Bestandsbetreuung.


Zusammenfassung
109 Bestände und über 400 Fälle mit Postweaning Multisystemic Wasting Syndrom wurden untersucht, um die klinische Symptomatik, die ursächlichen und am Krankheitsbild beteiligten Erreger sowie mögliche pathogenetische und epidemiologische Charakteristika zu erfassen. Dabei ergab sich, daß das porzine Circovirus Typ 2 (PCV2) während der Trächtigkeit zu intra uterinen Infektionen sowie teilweise zu Aborten in allen Phasen der Trächtigkeit, zur Geburt totgeborener und lebensschwacher Ferkel sowie zu einer geringgradigen Erhöhung mummifizierter Früchte führen kann. Während PCV2 Infektionen zu typischen histopathologischen Veränderungen führen, konnte gezeigt werden, daß zur Ausbildung schwerer klinischer Krankheitsbilder meist Koinfektionen mit weiteren Krankheitserregern wie z.B. dem Virus des porzinen reproduktiven und respiratorische Syndroms (PRRSV) sowie mit Haemophilus parasuis oder APP erforderlich sind.
Untersuchungen zur Genetik verschiedener PCV2 Isolate ergaben phylogenetische Unterschiede über deren Bedeutung hinsichtlich Pathogenität oder Virulenz bisher keine Erkenntnisse vorliegen. Weitergehende Untersuchungen sind erforderlich, um mögliche Einfüsse des Infektionszeitpunktes oder Infektionsalters sowie die Entwicklung einer Immuntoleranz bei intra uterinen Infektionen zu klären.
Die Ergebnisse werden diskutiert im Zusammenhang mit den weiteren Präsentationen von J.C.S Harding, Humboldt, SK, Kanada, zum klinischen Bild der PMWS und von Catherine Truong, AFSSA, Ploufragan , Frankreich, zu den tierexperimentellen und labordiagnostischen Ergebnissen mit PCV2 auf der 26. Jahrestagung der SIPAS vom 24./25.03.2000 in Piacenza, Italien.

Einleitung
Seit Ende 1998 steigt der Nachweis von Infektionen mit dem porzinen Circovirus Typ 2 in Deutschland explosionsartig an (Hinrichs,U. u. Mitarb., 1999; Ohlinger,V.F. u. Mitarb., 1999). Dieses Virus wird in Kanada, Frankreich, Spanien und anderen Ländern als ursächliches Agens des sogenannten Postweaning Multisystemic Wasting Syndroms (PMWS) angesehen, das u.a zum Kümmern von Absatzferkeln führt (Harding u. Mitarb., 1997; Kuipel u. Mitarb., 1997; Saegales u. Mitarb. 1997; LeCann u. Mitarb., 1997, Clark, 1997, 1998; Allan u. Mitarb., 1998). Klinisch sind die Symptome der PMWS nach den Angaben in der Literatur wenig spezifisch. Nach Harding (2000) stellen Kümmern, vergrößerte Lymphknoten, respiratorische Probleme, Blässe, Durchfall und Ikterus die sechs bedeutendsten klinischen Symptome des PMWS dar. Die Krankheitssymptome werden meist bei Tieren im Alter von 7-15 Wochen mit einem Gipfel um die 12. Lebenswoche beobachtet. Somit sind Absatzferkel am Häufigsten betroffen, aber auch bei Tieren in der Vormast und bei Saugferkeln wird das Syndrom beschrieben (Harding 1998). Oft sind nur einzelne Tiere aus verschiedenen Gruppen betroffen. In seltenen Fällen wird von sehr hohen Inzidenzraten mit Mortalitäten bis zu 50% berichtet (Harding 1997). Die Genesungsrate erkrankter Tiere ist sehr gering (Harding (2000).
Bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung werden den Angaben aus der Literatur zufolge eine Reihe von Veränderungen beobachtet, die in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung auftreten. (Segalés 1997, Kiupel et al 1998, Allan et al. 1998. Meist wird eine Lymphadenopathie mit stark vergrößerten Lymphknoten beobachtet. Histologisch ist diese gekennzeichnet durch lymphozytäre Depletion und Infiltration mit großen histiozytären Zellen. Weiterhin werden Nekrosen in lymphatischen Geweben und intrazytoplasmatische Einschlußkörperchen nachgewiesen. In Zusammenhang mit PMWS treten interstitielle Pneumonien auf, die insbesondere bei Koinfektionen mit PRRSV einen proliferativ nekrotisierenden Charakter annehmen und zur sogenannten proliferativ nekrotisierenden Pneumonie (PNP) führen. Mit wechselnder Häufigkeit treten lympho-histiozytäre Infiltrate in der Leber und in der Niere auf. In der Leber sind diese sowohl periportal als auch multifokal im Parenchym verteilt. Gallenganghyperplasie und Einzelzellnekrosen werden beschrieben. 
Klinische Symptome des PMWS
Die Analyse der klinischen Erhebungen in 109 Beständen mit PMWS und PCV2 – Nachweis ergab folgende Nachweishäufigkeiten:



In Circovirus Typ 2 infizierten Beständen treten erste respiratorische Symptome bei zuvor klinisch unauffälligen, gut entwickelten und vitalen Saugferkeln in der ersten bis zweiten Lebenswoche auf. Bis zu 1/3 der Würfe zeigen leichtes Schniefen und serösen Nasenausfluß, Konjunktivitis und Tränenstreifen in unterschiedlicher Ausprägung. Ein leichtes Schniefen kann zu diesem Zeitpunkt auch bei einzelnen Sauen oder bei Masttieren auftreten. Diese klinische Symptomatik erweist sich als therapieresistent. Bei guten Haltungs- und Lüftungsbedingungen sowie beim Ausbleiben von Sekundärinfektionen klingen die Krankheitserscheinungen in den erkrankten Tieren nach 3-5 Wochen ab. Häufig jedoch werden Begleit- oder Sekundärinfektionen beobachtet, die dann zu schweren Pneumonien mit teils deutlichen Verlusten führen. 

Nach dem Absetzen wird Husten, Pumpen, Schniefen und Niesen beobachtet. In leichteren Fällen treten diese Symptome erst nach dem Auf- oder Umtreiben der Tiere auf. Vereinzelt sind Blässe, plötzliches Abmagern mit spitzem Rücken und deutlicher Konturierung der Dornfortsätze festzustellen.




Die Tiere besitzen in fortgeschrittenem Stadium einen schmalen "dackelähnlichen Kopf" sowie "Hängeohren". Die Tiere zeigen teils Fieber bis 41,5 °C. Die deutlichsten Krankheitssymptome werden bei Ferkeln etwa 1-3 Wochen nach dem Absetzen beobachtet. In stark betroffenen Tiergruppen kommt es zu deutlich vergrößerten Lymphknoten, besonders offensichtlich ist dies an den Inguinallymphknoten. Zugleich treten vermehrt Krankheiten des Magen- Darmtraktes und vereinzelt auch Störungen der Fruchtbarkeit auf.
Nach Harding (2000) ergaben retrospektive Untersuchungen in PMWS betroffenen Beständen, daß bereits 4-5 Monate vor dem Auftreten deutlicher klinischer Symptome eine leichte Erhöhung der Totgeburten sowie der mummifizierten Früchte um etwa 0,5 – 1% und eine leichte Erhöhung der Verluste insbesondere während der Aufzucht zu beobachten waren. Die akute Symptomatik war über etwa 17-22 Monate nachweisbar. Danach erfolgte eine weitgehende Beruhigung der Problematik.


Serokonversion gegen PCV2
Zum Nachweis von Antikörpern gegen PCV2 stehen verschiedene Immunfluoreszenztests sowie indirekte und kompetitive ELISAs zur Verfügung. Je nach Testsystem ergeben sich hohe Antikörpertiter in nahezu allen Tieren aus klinisch betroffenen und nicht betroffenen Beständen oder niedrigere Antikörpertiter, die nach Auftreten der klinischen Symptome nachweisbar sind. Letztere Testsysteme führen in einigen PMWS positiven Beständen jedoch durchgängig zu falsch negativen Ergebnissen.
Nachfolgend ist die Serokonversion in einem Bestand dargestellt, in dem PMWS-Symptomatik ab dem 50. Lebenstag festgestellt wurde. Die Tiere zeigten etwa 2-3 Wochen nach Auftreten der Klinik eine deutliche Serokonversion mit Antikörpertitern bis zu 1:1280 gegen PCV2.
Mit dem Auftreten der PMWS-Symptomatik konnten APP, Salmonellen und Pasteurella multocida zusätzlich nachgewiesen werden.




Virusnachweis

Der Nachweis von porzinem Circovirus ist sowohl elektronenmikroskopisch als auch immunfluoreszmikroskopisch möglich. Neben dem pathogenen porzinen Circovirus Typ 2 ist in den Schweinebeständen auch das nicht krankmachende porzine Circovirus Typ 1 weit verbreitet (Tischler, I. u. Mitarb., 1986). Die Unterscheidung beider Genotypen ist derzeit sicher über die differenzierende Polymerasenkettenreaktion (PCR) möglich. 

Als Probenmaterial zum Erregernachweis eignen sich 

  • Lunge,
  • Lymphknoten, v.a. Inguinallymphknoten, 
  • Leber, 
  • Milz,

weniger sensitiv sind
  • Blut, 
  • Serum, 
  • Nasentupfer.



Nachweis weiterer Infektionserreger

Zusammen mit dem PCV2 wurden in PMWS positiven Beständen folgende zusätzlichen Infektionserreger nachgewiesen:



Epidemiologie
Epidemiologische Untersuchungen in den Beständen habe gezeigt, daß auch nach mehrmonatiger Klinik etwa nur 1/3 aller Sauen Antikörper gegen das porzine Circovirus Typ II besitzen. Dementsprechend hoch ist der Anteil an Ferkeln die keine maternale Immunität aufweisen. Maternale Antikörper sind nach ca. 2-4 Wochen nicht mehr nachweisbar. In Tieren, die eine klinische Symptomatik zeigen, kommt es zwischen der 6. und 9. Lebenswoche zu einer Serokonversion gegen porzines Circovirus Typ II mit spezifischen Antikörpertitern bis zu 1: 1280.
Die Ausbreitung der Infektion, sowie die Schwere der klinischen Symptomatik scheint nach bisherigen Erkenntnissen mit der Tierdichte im Bestand sowie den Haltungs-, insbesondere den Lüftungsbedingungen, zu korrelieren. Da porzine Circovirus Typ II- Infektionen die Anzahl der abgesetzten Ferkel meist nicht negativ beeinflußen, die Tiere im weiteren Produktionsverlauf jedoch verminderte Gewichtszunahmen aufweisen und nicht in der vorgesehen Zeit in die nächste Produktionsstufe überführt werden können, kommt es im Flatdeckbereich zu einer erhöhten Tierzahl und somit zu einer Erhöhung der Tierdichte. Dies wiederum bedingt eine erhöhte Infektionsdichte und somit eine deutliche Zunahme der klinischen Symptomatik, die sich direkt durch eine erhöhte Zahl an Kümmerern, blassen Ferkeln und sekundär durch verstärkte respiratorische Krankheitssymptome bemerkbar macht.
Werden infizierte Ferkelpartien in der Mast mit anderen Herkünften gemischt, so zeigen die Kümmerferkel auch weiterhin keine Mastleistung. Die nicht betroffenen Ferkel entwickeln sich nach bisheriger Erkenntnis unter weitgehend guten Haltungsbedingungen normal und zeigen keine Minderung der Gesundheits und Leistungsparameter.


Weitere Pathogenesefaktoren
Das porzine Circovirus Typ 2 konnte in 38 Aborten nachgewiesen werden, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Trächtigkeit erfolgten. Differentialdiagnostisch wurden andere virale, bakterielle und nicht infektiöse Abortursachen ausgeschlossen.



Nach intra uteriner Infektion kann es zur Geburt toter und lebensschwacher sowie virämischer Ferkel kommen. Während ein Teil dieser Ferkel nach einiger Zeit Antikörper bildet, bleiben einige Ferkel auch nach mehreren Wochen noch serologisch negativ. Aus den Seren dieser Tiere kann PCV 2 über einen Zeitraum von bis zu 3 Monaten isoliert oder mittels molekularbiologischer Verfahren (PCR) nachgewiesen werden. Solche Tiere erkranken nach Infektion mit weiteren Krankheitserregern in der Regel schwer. Ferkel, die keinem hohen Erregerdruck ausgesetzt sind, entwickeln sich weitgehend normal.




Maßnahmen zur Minderung der Krankheitssymptome

Während bei bakterieller Beteiligung therapeutische Erfolge zu erzielen waren, erwiesen sich porzine Circovirus Typ II – Infektionen, die durch virale Begleitinfektionen kompliziert waren, weitgehend als schwerwiegend und therapieresistent.

Derzeit stehen noch keine prophylaktischen und metaphylaktischen Maßnahmen zur Bekämpfung der porzinen Circovirus Typ II-Infektion zur Verfügung. Durch geeignete tierärztliche und betriebliche Maßnahmen lassen sich die Auswirkungen der Infektion jedoch deutlich positiv beeinflussen.

Tierärztliche Maßnahmen
Bei den tierärztlichen Maßnahmen steht die Minimierung der Sekundärinfektionen im Bereich des Porcine Respiratory Disease Complex im Vordergrund. Bei bakteriellen Infektionen hat sich die antibiotische Therapie als wirksam erwiesen. Die Zahl der Totalverluste sowie die Schwere der klinischen Erkrankung konnte in den meisten Fällen deutlich reduziert werden. Dies trifft insbesondere bei einer Beteiligung von H. parasuis am Krankheitsgeschehen zu. Nachfolgend ist die Entwicklung der Verlustrate in einem 700er Sauenbestand dargestellt, der eine Kombination aus PCV2 - PRRSV und H. parasuis aufwies. Die Medikation erfolgte in Sauen und Saugferkeln über 4 Wochen. Zugleich wurden die Jungsauen nicht mehr über die PRRSV infizierte Mast eingestallt.



Bei Komplikationen mit viralen Infektionserregern ist eine antibiotische Therapie unwirksam. Hier muß an den Einsatz von Impfmaßnahmen gedacht werden, um die Begleitkeime gezielt zu bekämpfen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Infektionen im Bereich des Respirationtraktes sehr kurz nach der Geburt auftreten können und Prophylaxemaßnahmen möglichst frühzeitig, u.U. unter Einbeziehung der Sauenherde durchzuführen sind. 


Betriebliche Maßnahmen
Erkrankungen des respiratorischen Krankheitskomplexes werden in ihrer Ausprägung wesentlich beeinflußt durch die Haltungs- und Lüftungsbedingungen im Bestand. Die Optimierung der Luftmenge, -temperatur und –qualität sowie die Minimierung des Schadgasgehaltes führen zu einer deutliche Verbesserung des Gesundheitsstatus. Soweit diese Maßnahmen in Zusammenhang mit den o.g. tierärztlichen Maßnahmen keine ausreichende Besserung bewirken, muß an eine Unterbrechung oder weitere Minderung der Infektionsketten im Bestand gedacht werden. Dies erfolgt primär durch Optimierung der Hygienmaßnahmen sowie eventuell durch frühzeitigeres Absetzen der Ferkel. Als wesentlicher Faktor hat sich die Minimierung der Tierdichte erwiesen (Madec; F. u. Mitarb., 1999). Dies erfolgt zunächst durch gezieltes Entfernen der Kümmerer. Eine Überbelegung muß mit allen Mitteln vermieden werden. Soweit möglich, hat sich eine zeitweise Depopulierung der Flatdecks als besonders förderlich erwiesen. Maßnahmen zur Merzung infizierter Bestände wie sie u.a in Dänemark erfolgen sollten aufgrund der weiten Verbreitung des Porzinen Circovirus Typ II und des damit verbunden Risikos der Wiedereinschleppung zurückhaltend diskutiert werden.


Schlußfolgerung
Das porzine Circovirus Typ 2 wird in Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik des Postweaning Multisystemic Wasting Syndroms nachgewiesen. Klinische Symptome einer Atemwegserkrankung sind wesentlicher Bestandteil des Krankheitsbildes. Insbesondere in Zusammenhang mit anderen Erregern von Atemwegserkrankungen werden auch schwere nicht therapierbare Pneumonien beobachtet, die teilweise zu deutlichen bis schwersten Verlusten führen. Das Virus tritt u.a massenhaft in Zellen des Immunsystems auf und führt zu Veränderungen der Immunbiologie. Eine Störung oder Beeinträchtigung des Immunsystems kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Hinweise darauf ergeben sich unter anderem aus der Vielzahl und Schwere der zu beobachtenden Begleitinfektionen. Insbesondere die häufig auftretende Koinfektion mit PRRSV erfordert eine besondere Berücksichtigung hinsichtlich Therapie und Prophylaxe sowie weitergehende Untersuchungen zur Pathogenese und Immunbiologie der Infektion.

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