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Fall des Monats September 2011

Sporadischer Durchfall bei unterschiedlich alten Saugferkeln
Tierarzt Jens Jungbloot, Praxis Dr. Reinhold Heggemann, 25782 Tellingstedt für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb Schwein

 
Der Betrieb
Heute berichten wir Ihnen aus einem Kombibetrieb mit 250 Sauen und eigener Mast. Der Betrieb ist in einer Altbausubstanz über mehrere Jahre gewachsen. Seit längerer Zeit produziert er auf hohem Niveau, ohne nennenswerte gesundheitliche Probleme. Die Jungsauen werden immer vom selben Vermehrer zugekauft.
 

Der Fall
Vor etwa einem Jahr hatte der Betrieb Probleme mit Saugferkeldurchfall in der ersten Lebenswoche. Nach schneller Diagnostik konnte die Ursache rasch gefunden werden: E. coli und Clostridium perfringens Typ A. Mittels eines bestandsspezifischen Impfstoffes konnte wirksame  Abhilfe geschaffen werden. Ein ähnlicher Fall ist hier im Monat April 2010 beschrieben worden.

Jetzt meldete sich der Landwirt wieder und führte aus, dass die Wirkung des Impfstoffes nicht mehr gegeben sei. Die Ferkel hätten alle Durchfall und würden trotz Behandlung verenden. Ein Besuchstermin wurde für den nächsten Tag vereinbart.

Ein schwerst erkrankter Wurf durch Corona-Virus. Selbst im Liegen geht wässriger Kot ab.Bei der Betriebsbesichtigung waren zwei Dinge sofort auffällig. Der Durchfall trat bei Saugferkeln aller Altersgruppen und dann aber nur sporadisch bei einzelnen Würfen auf, wobei Jungsauenwürfe überwogen. Zweitens war die Durchfallqualität sehr unterschiedlich. Vereinzelt sah man breiigen bis dickflüssigen gelben Durchfall, aber häufiger auch wässrigen, dunklen Durchfall. Besonders die Würfe mit dem wässrigen Durchfall zeichneten sich durch unterentwickelte Ferkel  und hohen Ferkelverlusten, teilweise über 50 Prozent, aus.
 
Bild links: Ein schwerst erkrankter Wurf durch Corona-Virus. Selbst im Liegen geht wässriger Kot ab.

Diagnose
Von den betroffenen Ferkeln wurden zahlreiche Kotproben entnommen und zur bakteriologischen Diagnostik gebracht. Es wurden hauptsächlich E. coli und Clostridium perfringens Typ A nachgewiesen, die Stämme repräsentierten, die bereits auch schon für die Herstellung des Bestandsimpstoffes verwendet wurden. Eine Überprüfung des Impfstoffes und dessen Einsatzes als Muttertierschutzimpfung zeigte keine Fehler oder Lücken auf.

Vermutet wurde, dass zusätzlich zu den gefundenen Erregern andere Krankheitsursachen, wahrscheinlich ein Virusgeschehen, vorliegt. Die weitere Vorgehensweise bei der Diagnostik wurde mit dem untersuchenden Institut abgestimmt. Da für Virusnachweise sehr frisches Untersuchungsmaterial benötigt wird, entschlossen wir uns, erkrankte Ferkel lebend zum Institut zu bringen. Folgender Befund wurde erstellt:
 
Bild rechts: Ein anderer Wurf aus dem gleichen Betrieb. Die Farbe des Durchfallkots kann varrieren. 

Pathologischer Befund: äußerlich keine Auffälligkeiten, Darm hochgradige, katharrhalische Enteritis, restliche Organe makroskopisch ohne besonderen Befund.
Parasitologischer Befund: Endoparasiten nicht nachweisbar.
Bakteriologischer Befund: Lunge kein Keimwachstum, Organe schwach Staphylococcus spec. , Darm hochgradig E. coli v. haem O?:K88 (F4), schwach Clostridium perfringens, Salmonellen nicht nachgewiesen.
Molekularbiologischer Befund: Coronavirus spec./Genom

Somit lautete die Diagnose: katharrhalische Enteritis infolge einer Corona-Virus-Infektion, vergesellschaftet mit enteropathogenen E. coli-Keimen und Clostridien.
 

Behandlung/weiteres Vorgehen
Das Auftreten von Durchfällen durch Coronaviren ist therapeutisch nicht beeinflussbar. Somit ist die Therapie auf symptomatische Behandlung beschränkt. Im Vordergrund stehen Maßnahmen dem Flüssigkeitsverlust der Ferkel entgegen zu wirken. Leicht erkrankten Tieren wird Elektrolytlösung (keine Milch!!) als Tränke angeboten bzw. bei zu schwachen Tieren verabreicht. Schwer erkrankte Tiere können aufgrund der Zerstörung des Zottenepithels im Darm durch die Viren keine Flüssigkeit mehr über den Darm aufnehmen. Diesen Tieren kann man isotonische Kochsalzlösung mit 5% Glukose parenteral injizieren. Dies geschieht am besten über die Bauchhöhle. Einzelne Tiere lassen sich damit retten.
Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Aufmerksamkeit in Sachen Hygiene zu erhöhen. Dies beinhaltet trockene, warme Abferkelställe, Einsatz von Desinfektionspulvern sowie Stiefel und Schaufel für jedes Abferkelabteil. Eventuell sind zootechnische Maßnahmen wie Kastrationen zu verschieben.

Bakterielle Begleiterreger müssen konsequent bekämpft werden; diesbezügliche  Muttertierschutzimpfungen sind unbedingt weiterzuführen.
Wirksam geschützt werden Saugferkel nur durch die Aufnahme von Muttermilch immuner Sauen. Alleinige Kolostrumaufnahme ist meist nicht ausreichend, vielmehr sollten die Ferkel  während der gesamten Säugezeit bei ihren Müttern  verbleiben und nicht getauscht oder einem Wurfausgleich unterzogen werden.

Zur aktiven Immunisierung der zur Geburt anstehenden Sauen kann die Verfütterung von Durchfallkot an die Sauen versucht werden. Je schneller eine umfassende Infektion und daraus folgend eine Immunisierung der Sauenherde erreicht wird, umso schneller sind die Saugferkel über die Aufnahme der Milch geschützt.

In unserem Fall besteht die Klinik seit 2 ca.Monaten. Es sind mittlerweile mit 1-2 Würfen pro Abferkelgruppe nur noch vereinzelte Würfe betroffen.


Diskussion
Ältere Landwirte oder Kollegen können sich sicher noch an die sogenannte Oldenburger Schweineseuche erinnern, die vor 30 Jahren viele Betriebe unter großen Verlusten heimsuchte. Sie ist eine Form der Corona-Virus-Darmerkrankungen beim Schwein und wird fachlich Transmissible Gastroenteritis (=TGE= übertragbare Magen-Darmentzündung) genannt.

Eine weitere und deutlich mildere Variante ist die Epizootische-Virus-Diarrhoe (EVD). Beide Formen werden durch unterschiedliche genetische Varianten von Corona-Viren hervorgerufen. So besteht auch keine Kreuzimmunität. Die TGE trat eher in den Wintermonaten auf und betraf  nahezu alle Tiere einer Gruppe; der Fachmann spricht von einer hohen Morbidität. Die EVD wurde dagegen ganzjährig beobachtet und betraf eher jüngere Tiere wie Saugferkel und Absatzferkel. Dabei erkrankten nie alle Tiere dieser Altersgruppe (geringe Morbidität).
Die Einschleppung erfolgt häufig durch Tierzukauf. Es gibt latent infizierte Dauerausscheider. In erster Linie wird der Erreger von Tier zu Tier übertragen. Innerhalb eines Bestandes ist auch eine aerogene Übertragung möglich. Als mögliche Virusreservoire kommen auch Katzen, Hunde und Füchse in Frage.

Die Erkrankung spielt sich im Dünndarm ab. Das Zottenepithel wird zerstört, so dass die Resorption gestört ist. Zusätzlich wird Flüssigkeit in den Darm abgegeben. Betroffene Ferkel trocknen daher sehr schnell aus (Dehydrierung) und bekommen eine Stoffwechselstörung (Azidose) mit nachfolgender Störung der Herzfunktion und erleiden einen Kreislaufkollaps, was letztendlich zum Tode führt. Erkranken können Tiere jeder Altersstufe, wobei Tiere in einem Alter unter 3 Wochen besonders hohe Verlustraten aufweisen.

Ein wirksamer, zugelassener Impfstoff für Schweine ist derzeit leider nicht verfügbar. Lediglich für Kälber/Rinder stehen zwei Impfstoffe zur Verfügung, die im Einzelfall nach Umwidmung durch den Hoftierarzt eingesetzt werden können. Über die Wirksamkeit beim Schwein gibt es allerdings widersprüchliche Aussagen.

Nach der Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten ist nur die Verlaufsform der TGE anzuzeigen.
Differentialdiagnostisch sind bei Saugferkeldurchfällen auch Rota-Viren, E.coli, Clostridien, Salmonellen, Kokzidien und Zwergfadenwurmbefall abzuklären.

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