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Fall des Monats Februar 2011

„Dann hör doch auf zu impfen“- Erfahrungen mit dem Impfausstieg
Jens Jungbloot, Praxis Dr. Reinhold Heggemann, 25782 Tellingstedt
für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb Schwein 

Der Bestand
Heute stellen wir Ihnen einen Betrieb mit 430 Sauen vor. Dieser Betrieb hat in der Vergangenheit die produzierten Mastferkel in einer sogenannten 1:1 Beziehung an einen festen Mäster verkauft. Diese Tiere waren frei von Mycoplasmen (EP) und PRRS. Gegen PCV 2 (Circo) wurden sie im Alter von 14 Tagen geimpft. Der Mäster erreichte überdurchschnittliche Mastergebnisse. Es gab hier keine nennenswerten Probleme.
In 2010 wollte der Landwirt zunächst seinen Sauenbetrieb erweitern, entschied sich dann aber für eine Erweiterung zum Kombibetrieb, indem er auf einem separaten Standort einen Maststall mit 4000 Plätzen baute, der im Herbst 2010 in Betrieb genommen und mit eigenen Tieren belegt wurde.


Der Fall

Eine Betriebsumstellung und Erweiterung in dieser Größenordnung bringt immer Unregelmäßigkeiten mit sich. In der Übergangszeit war das Flatdeck aus zwei Gründen hinsichtlich der Belegung an der oberen Kapazitätsgrenze. Erstens fand der ehemalige Mäster früher als geplant einen neuen Ferkellieferanten, so dass die eigenen Ferkel auf dem freien Markt angeboten werden mussten. Deren Absatz verlief schleppend und zudem wollte der Landwirt Ferkel „vorproduzieren“, um die Abteile im neuen Maststall möglichst vollständig aufstallen zu können.

In dieser Phase trat vermehrt Husten im Flatdeck auf. Der Husten verstärkte sich mit zunehmenden Alter der Tiere. Zudem kamen häufiger blasse, kümmernde Ferkel vor, und die Zunahmen gingen spürbar zurück. Die Verluste blieben dagegen im Normalbereich. Ansonsten waren häufiger Klauen- und Gelenkserkrankungen zu beobachten.


Diagnostik, Behandlung
Aufgrund der bisherigen Mycoplasmen und PRRS-Freiheit sollte in erster Linie abgeklärt werden, dass zwischenzeitlich keine EP- oder PRRS- Infektion stattgefunden hat. Deshalb wurden Blutproben bei den ältesten Ferkeln im Flatdeck gezogen. Diese Blutproben wurden zusätzlich auch auf Glässersche Krankheit, Influenza und PCV 2 untersucht. Alle fünf Erkrankungen waren in der Serologie negativ, so dass davon ausgegangen werden konnte, dass diese fünf untersuchten Erreger keine ursächliche Rolle am Krankheitsgeschehen spielten. 

Da der Betrieb in der Vergangenheit häufiger Streptokokkenprobleme hatte und die Gelenksentzündungen, die ein Indiz für Streptokokkeninfektionen sein können, sehr zugenommen haben, wurde eine orale Behandlung mit Amoxicillin durchgeführt. Es trat eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes der Ferkel ein. 


Weiterer Verlauf
Inzwischen war der Maststallbau soweit fortgeschritten, dass die ersten Abteile belegt werden konnten. Dadurch wurden die Platzverhältnisse im Flatdeck deutlich besser und die Tiere entwickelten sich wieder normal, aber ein leichter, latenter Husten blieb.

Die im Maststall eingestallten Tiere entwickelten einen starken, teilweise trockenen Husten. Innerhalb von drei Wochen war ein starkes Auseinanderwachsen der Tiere festzustellen. Mittlerweile hatten einzelne Tiere Lungenentzündungen. Der Landwirt vermutete zuerst Lüftungsfehler oder einen zu feuchten Stall bei der Erstauffstallung. Eine erneute Überprüfung der Lüftung ergab keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Lüftung.

Inzwischen wurde ein zweiter Abschnitt des Maststalles in Betrieb genommen. Es traten die gleichen Probleme wie vorher beschrieben in noch verstärkter Form auf. Bei dieser Partie stiegen die Verluste mit ca.8% rapide an. Die Tiere zeigten zudem deutliche Symptome einer PCV 2-Erkrankung. Es waren sowohl Kümmerer mit blasser Haut (PMWS), als auch Tiere mit blau-schwarzen Flecken an den Hintergliedmaßen (PDNS) zu sehen. 



Linkes Bild: "Schwein rechts mit Circo-Infektion (PMWS) neben normal entwickelten Buchtengenossen"




Rechtes Bild: "Läufer mit typischen PDNS-Symptomen"



Die klinischen Symptome waren insoweit ungewöhnlich, als dass ja davon ausgegangen wurde, dass die Ferkel gegen Circovirus geimpft waren. Aufgrund der Eindeutigkeit der Symptome und nach einem längeren Gespräch erwähnte der Landwirt, die Circoimpfung auf Anraten eines externen Beraters eingestellt zu haben. Der Landwirt hatte zudem gehofft, in einem neu gebauten Stall mit optimalen Haltungsbedingungen ohne PCV 2-Impfung auskommen zu können. 

Auf eine serologische Überprüfung der Verdachtsdiagnose „Circoinfektion“ konnte aufgrund der eindeutigen, klinischen Symptome und der vorberichtlichen Zusammenhänge verzichtet werden. 

Bei Wiedereinstieg in die Impfung wurden alle bereits abgesetzten Ferkel im Flatdeck und alle Ferkel in der Abferkelung bis zu einem Lebensalter von 14 Tagen gegen PCV 2 geimpft. Danach wurden die Ferkel wieder kontinuierlich am 14. Lebenstag geimpft. Im weiteren Mastverlauf zeigten von den ältesten Flatdeckläufern noch Einzeltiere Circoklinik .Alle Ferkel, die bei der Impfung jünger als acht Wochen waren, durchliefen die Mast vollkommen unauffällig.


Diskussion 
Das PCV 2-Virus ist weit verbreitet. In Deutschland geht man von einer vollständigen Durchseuchung der Schweinbetriebe aus. Durch die Schädigung von wichtigen Abwehrzellen des Immunsystems werden sekundäre Infektionen häufig zum Problem. Man spricht dann von PCV II- assoziierten Erkrankungen. Bevor die Impfung gegen PCV2 vor ca. drei Jahren möglich wurde, waren Verluste bis zu 10 Prozent und vermehrt kümmernde Tiere nicht selten. Die Impfung wird seitdem fast zu 100 Prozent flächendeckend durchgeführt und nach wie vor von zahlreichen Vermarktungsorganisationen neben der Impfung gegen Mycoplasmen zwingend vorgeschrieben.. Dadurch geraten die durch PCV 2 hervorgerufenen Probleme mehr und mehr in Vergessenheit. 

In Zeiten steigender Futterpreise, Energiekosten etc. und parallel dazu sinkende, teilweise ruinöse, nicht mehr kostendeckende Verkaufserlöse, verschärft noch durch den Dioxinskandal, ist eine Infragestellung aller Kostenblöcke nur zu verständlich. Impfungen sind natürlich ein Kostenfaktor, aber entscheidend für die Frage, ob eine Impfung eingestellt werden kann oder nicht, sollte in enger Absprache mit dem Bestandstierarzt nur nach diagnostischer Evaluierung eine betriebsspezifische Entscheidung gefällt werden. Dabei sind auch mindestens Fragen des Tierbezuges und die örtliche Viehdichte zu berücksichtigen. Nur zu häufig werden Impfmaßnahmen ohne jegliche Faktenbasis insbesondere auf Anraten „unabhängiger“ Berater leichtfertig eingestellt. Betreuenden Bestandstierärzten wird fälschlicherweise in dem Zusammenhang häufig nicht geglaubt, da ein möglicher Interessenkonflikt unterstellt wird. Faktisch ist ein „heraus impfen“ des Circovirus aus einem Bestand mit anschließender Erregerfreiheit nicht möglich und bis jetzt in der Literatur nicht beschrieben!

In Zeiten wachsender Skepsis und Verunsicherung bei Verbrauchern durch sog. Skandale ist im Übrigen die Investition in Impfstoffe allemal sinnvoller und dem Ziel qualitativ hochwertige Lebensmittel zu produzieren dienlicher, als fehlende Impfungen durch den Einsatz von Antibiotika zu kompensieren.  

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