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Aktueller Fall September / Oktober 2017

Lahmheiten in Schweinemastbeständen
Jens Jungbloot, Dr. Linus Eichhorn, Vet-Team-Schleswig-Holstein, 25782 Tellingstedt

Über das gesamte Jahr traten bei uns im Praxisverbund auf mehreren Betrieben vermehrt Lahmheiten auf. Die Mastferkel kamen von unterschiedlichen Ferkelerzeugern und auch die Genetik unterschied sich bei den Betrieben. Selbst die Haltungsform in den Betrieben war nicht vergleichbar, unterschiedliche Gruppengrößen, Betriebe mit kompletten Rein-Raus-Verfahren und Betriebe mit kontinuierlichem Zukauf. Ebenfalls gab es unterschiedliche Fütterungssysteme und Futtermittelhersteller. Alle Betriebe halten ihre Schweine auf Vollspalten. Die Lahmheiten fingen in der zweiten Woche nach Einstallung an und traten bis zur Mitte der Mastperiode auf. Die betroffenen Landwirte berichteten, dass die routinemäßige Lahmheitsbehandlung gegen Gelenksentzündungen, hervorgerufen von Eitererregern wie z.B. Streptokokken, mit Penicillin bzw. Amoxicillin nicht den gewohnten Erfolg zeigte.

Bei der klinischen Untersuchung der betroffenen Bestände zeigte sich ein uneinheitliches Bild. Der prozentuale Anteil an erkrankten Tieren war sehr unterschiedlich. Auch die Intensität der Lahmheiten war sehr verschieden ausgeprägt. Am Anfang der Erkrankung zeigten die Tiere immer einen steifen Gang, teilweise auch Trippelschritte. Oft saßen sie in einer hundesitzigen Stellung und im Stehen standen sie mit einem aufgekrümmtem Rücken, die Hinterbeine weit nach vorn geschoben. Das Aufstehen gelang nur mühsam unter Zittern der Muskulatur. Die Tiere zeigten also deutliche Schmerzen. In einem Betrieb waren die Tiere so schwer betroffen, dass einige Tiere nicht mehr aufstanden und bei anderen Tieren die Füße an den Hintergliedmaßen wegknickten und sie auf den Wurzelgelenken standen. Typisch war, dass die Gelenke kaum Umfangsvermehrungen hatten, maximal kleine Aussackungen aus den Gelenksspalten, vor allem an den Karpalgelenken, waren zu fühlen. Einige Tiere hatten Auftreibungen an den Beinen an unterschiedlichsten Stellen, andere Tiere hatten keine.

Die festgestellte Klinik deutete auf eine bakterielle Infektion oder das Beinschwächesyndrom durch Mineralisationsstörungen hin. Mit dem Begriff Beinschwächesyndrom bezeichnet man einen Komplex an Erkrankungsformen, die auf eine Störung der Knochenmineralisation zurückzuführen sind. Bisher bestand die Diagnostik in der Sektion mit dem Nachweis pathologischen Gelenksveränderungen und/oder den demineralisierten Knochen in Form geringerer Knochendichte. Blutuntersuchungen auf die entsprechenden Mineralstoffe (Ca, P, Mn, Zn) konnten nie eine befriedigende Aussage hervor bringen . Ein neuer Ansatz der Diagnostik benutzt Marker des Knochenstoffwechsels und lässt damit indirekt Rückschlüsse auf den Calcium-Phosphorstoffwechsel zu. Ein Marker ist das Osteocalcin (OC), welches von den Knochenzellen gebildet wird und ein Hinweis für Knochenaufbau ist, C-telopeptid (CTx) ist der Marker welcher für Knochenabbau steht. Beide Marker lassen sich durch Blutuntersuchungen mittels ELISA (GD Animal Health Deventer) nachweisen. Folgende Richtwerte gibt das Labor vor:

Tieralter

Osteocalcin µg/l

C-telopeptid µg/l

        OC:CTx

        Ca:P

 

 

 

 

 

Flatdeck/Vormast

            >50

       < 0,2

        >150

 

Mittelmast

              40

          0,25

          150

           0,9

Endmast

              40

          0,3

          130

           0,9

 
 
In den betroffenen Betrieben konnten wir nie eine klare Diagnose mittels bakteriologischer Untersuchung stellen. Es wurden sowohl Sektionen als auch Gelenkspunktate auf allen Betrieben durchgeführt. Mal gelang der Nachweis eines Erregers mittels PCR (Streptokokken, HPS, Mycoplasmen), in der Bakteriologie allerdings gelang fast nie eine Erregeranzucht. Die Ergebnisse ließen sich auch so gut wie nie replezieren. Auch das gezielte Zufüttern von Monocalcium-Phosphat (MCP) zeigte nicht immer den gewünschten Erfolg. Dies stellte uns vor ein größeres Rätsel bis wir einen Vortrag von einem Tierarzt aus Holland zu hören bekamen welcher über die oben erwähnten Marker für den Knochenstoffwechsel berichtete.

Screenings in betroffenen Beständen zeigten deutlich niedrigere Osteocalcinwerte (ca 30µg/l) und sehr hohe C-telopeptidwerte (>40µg/l). Das OC:CTx -Verhältnis war niedriger als der Referenzwert.

Betroffene Tiere in den Betrieben wurden mit dieser Diagnose ab jetzt nur noch mit einem nichtsteroidalen Entzündungshemmer (Meloxicam) behandelt. Das Medikament verhindert die Produktion entzündungsfördernder Gewebshormone. Damit wirkt es schmerzstillend und gegen Entzündungen. Nach etwa fünf Tagen waren die Tiere schmerzfrei.

Da die gezielten Zugaben von MCP beim Mäster nicht annähernd zum Durchbruch führten, bezogen wir die Ferkelerzeuger mit in die Strategie ein. Ab 4 Wochen vor dem Verkauf der Ferkel wurde den Ferkelfuttern MCP, Vitamine und Spurenelementen zugesetzt. Ab diesem Zeitpunkt traten die Lahmheiten auf den Mastbetrieben nicht mehr auf.

Das Beinschwächesyndrom ist eine immer mal wieder auftretende Erscheinung. Vor allem Jungsauenaufzüchter haben damit Probleme. Es handelt sich dabei um eine Störung der chondralen Ossifikation. Knochenzellen entstehen aus Knorpelzellen. Diese werden in der Wachstumsfuge der Knochen, der sogenannten Epiphyse, gebildet und werden erst später zu Knochenzellen (Längenwachstum des Knochens) durch Einlagerung von Mineralien umgebaut. Des Weiteren wird  Knorpel in den Gelenken als Gleitschicht der Gelenksflächen gebildet. Störungen können an beiden Stellen auftreten. Im Gelenk treten Läsionen an der Knorpelschicht auf. Man bezeichnet diese Erkrankung Osteochondrosis dissicans. Treten Störungen in der Wachstumsfuge auf, kommt es zu verändertem Längenwachstum, deformierten Knochen (rachitische Erscheinungen) und im schlimmsten Fall zum Abriss der Wachstumsfuge, der sogenannten Epiphysiolyse. Während bei dem Beinschwächesyndrom dem Osteochondrose - Komplex die Mineralisierung, also die Einlagerung von Mineralien in den Knochen, gestört ist, ist bei der Osteoporose die Mobilisation, also der Abbau, vor allem von Calcium die Erkrankungsursache. Dadurch kommt es zu Spontanbrüchen. Etwa 99% des Calciums, 80% des Phosphors und 66% des Magnesiums lagern im Skelett.

Bei dem Beinschwächesyndrom handelt es sich um eine Erkrankung junger Tiere beginnend vor allem im 4. und 5. Lebensmonat. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt.  Sicher spielt das schnellere Wachstum in diesem Alter eine Rolle. Linien mit starkem Potential für Muskelansatz scheinen eher betroffen zu sein. Dadurch ist der weiche Knorpel stärkeren Druckbelastungen ausgesetzt. Denkbar ist, dass schlechte Bodenbeschaffenheit ebenfalls zu diesen stärkeren Belastungen führen. Neben dem starken Muskelaufbau gilt auch frühe Geschlechtsreife wegen der Calciummobilisation als eine mögliche Ursache. Der Einfluss der Fütterung wird sehr konträr diskutiert. Der Einsatz von Fertigfutter reduziert sicher große Fütterungsfehler bei der Energie- und Nährstoffversorgung. In der Mineralstoffversorgung findet man aber sehr große Unterschiede. Gerade die Phosphorversorgung wurde wegen ökologischer Risiken und als Kostenfaktor immer weiter reduziert und immer mehr auf Phytase gesetzt. Das Enzym Phytase spaltet die in den Pflanzen natürlich vorkommende Phytinsäure macht das darin enthaltenen Phosphat verfügbar. Ob diese Enzymaktivität immer erreicht wird, ist fraglich. Ein falsches Verhältnis von Calcium zu Phosphor führt jedenfalls zu Mineralisierungsstörungen. Fehlerhafte Mineralstoffgaben führen in der Regel zeitverzögert zu klinischen Erscheinungen. Genauso sieht man das Ergebnis von Korrekturmaßnahmen erst wenn das Knochendepot wieder gefüllt ist, also etwa einen Monat später. In den angeführten Ursachen findet man auch Mangel an den Spurenelementen Zink und Mangan. In der Praxis tritt dies selten auf. Beteiligt an der Knochenbildung sind neben den Mineralstoffen Vitamine. Hier ist auf die Versorgung von Vitamin D und Biotin zu achten.

Aus unserer Sicht müssen die Bedarfswerte der neuen frohwüchsigen Genetiken in Punkto Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitaminen unter Praxisbedingungen neu ermittelt werden um die Tiere in Zukunft optimal versorgen zu können.
 

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