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Aktueller Fall Juli 2012

Neuer Bestand und schon wieder Durchfall
Dr. Reinhold Heggemann, Praxis für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb Schwein, 25782 Tellingstedt

Der Bestand 
Heute stellen wir Ihnen einen Mastbestand aus den neuen Bundesländern mit 3800 Mastplätzen vor, der seine Ferkel traditionell immer aus einer Herkunft bezogen hat. Der Betrieb besteht aus drei Gebäuden auf einem Betriebsgelände; jedes Gebäude hat eine separate Hygieneschleuse und eigene Verladerampe.
Die Ferkel sind gegen Circovirus geimpft; eine Impfung gegen Mycoplasmen wird nicht durchgeführt, da sowohl Ferkelerzeugerbetrieb als auch der Mastbetrieb Mycoplasmenfrei sind.
 
 
Der Fall 
In 2011 traten in zwei von den drei Gebäuden schleimig, blutige Durchfälle auf. Tiere wuchsen auseinander und kümmerten, die Verluste stiegen kurzfristig auf 2,8%. Behandlungen sowohl im Einzeltierbereich als auch bei ganzen Gruppen wurden notwendig.
Letztendlich wurde die Erkrankung als Dysenterie diagnostiziert, verursacht durch Brachyspira hyodysenteriae. Der Lieferbetrieb und auch ein zweiter parallel belieferter Mastbetrieb waren und sind bis dato frei von Dysenterie. Die Eintragsquelle konnte schlussendlich trotz intensivster Suche nicht benannt werden.

Da die Mastschweineproduktion so nicht mehr rentabel zu betreiben war und außerdem auch ein Versicherungsschutz vorlag, entschloss man sich den gesamten Betrieb leer laufen zu lassen, zu reinigen und zu desinfizieren. Diese Arbeiten wurden von einem Fachunternehmen durchgeführt und auch abschließend im März 2012 durch eine umfangreiche Probenentnahme unserer Praxis kontrolliert und dokumentiert. Nach abschließender zweiter Desinfektion wurden im Mai 2012 neue Ferkel -wieder aus dem gleichen Herkunftsbetrieb- eingestallt.

Bereits  1-2 Wochen nach Erstaufstallung trat neben Kot von normaler Konsistenz in fast allen Buchten bei ca. 70% der Läufer dünnbreiiger Kot von normaler Farbe auf, der in Einzelfällen auch blutig-wässrige Konsistenz aufwies. Sollte alles wieder von vorne beginnen und die Sanierung fehlgeschlagen sein?

Eine Beprobung mittels Sammelkotproben aus allen Buchten wurde sofort durchgeführt.


Die Untersuchung
Die Proben sind kulturell auf Salmonellen und Brachyspirenarten, sowie mittels real-time PCR auf  Lawsonien (PIA) untersucht worden. Lediglich in einer Probe gelang der Nachweis von Lawsonia intracellularis und Salmonella typhimurium, wohingegen 9 von 10 Proben mit einem mittel- bis hochgradigen Gehalt an Brachyspiren reagierten. Da es verschiedene Brachyspirenstämme mit unterschiedlichen krankmachenden Eigenschaften gibt, ist eine weitere Differenzierung zwingend notwendig.

Diese ergab in allen Fällen den Nachweis von Brachyspira murdochii.   


Weiteres Vorgehen 
Augrund der Schwere und Häufigkeit der Erkrankung wurde bereits am Tag der Probenentnahme eine Behandlung mit Tylosin eingeleitet, die auch sofort eine positive Wirkung zeigte. Die Kotkonsistenz wurde umgehend fester, die Fresslust der Tier nahm deutlich zu, sodass ein nicht reduziertes Füttern nach 100 % Futterkurve wieder möglich wurde.
    
 
Diskussion 
Dieser Fall erscheint uns insofern interessant, als dass in unserer Praxis zum ersten Mal ein Fall von blutigem Durchfall bei Mastschweinen dokumentiert werden konnte, der sich zweifelsfrei auf eine Infektion mit Br. murdochii zurückführen lässt.

Brachyspiren haben hinsichtlich ihrer Bezeichnung eine wechselvolle Geschichte hinter sich. In den 70‘ er Jahren noch als Treponemen bezeichnet, wurden sie für kurze Zeit aufgrund ihres Aussehens Serpula (Lateinisch: kleine Schlange) genannt, um dann 1992 in Serpulina umgetauft zu werden. Heute ist die Bezeichnung Brachyspiren gebräuchlich.

Unterschied man Anfang der siebziger Jahre lediglich zwei Arten von Serpulina (S.), nämlich     S. hyodysenteriae als krankmachende Variante und S. innocens als nicht krankmachende Variante, so sind heute fünf Brachspirenarten bekannt und unterscheidbar. Diesen Brachyspiren werden unterschiedlich krankmachende Eigenschaften zugeordnet und Doktorarbeiten -auch aus jüngerer Zeit- beschäftigen sich mit der Frage, welcher Brachyspirenstamm in welchem Ausmaß oder überhaupt Erkrankungen hervorruft.

Die fünf wichtigsten Vertreter der Brachyspiren (Br.) sind derzeit:
Br. hyodysenteriae, Br. pilosicoli, Br. murdochii, Br. intermedia und Br. innocens.

Während Br. hyodysenteriae zweifelsfrei der Erreger der Dysenterie mit schwersten Krankheitssymptomen wie z.B. blutiger Durchfall ist, wird Br. pilosicoli nur in Ausnahmefällen und auch nur in milder Form einen unblutigen Durchfall auslösen.
      
Kot in unterschiedlichen Qualitäten; alle bedingt durch verschiedene Brachyspireninfektionen.
Blutbeimengungen oder abgelöste Schleimhautfetzen sind in aller Regel ein Hinweis auf eine Infektion mit Brachyspira hyodysenteriae.


Br. murdochii, intermedia und innocens wurden/werden als nicht krankmachend eingestuft, allerdings verdichten sich die Hinweise, dass auch Br. murdochii in der Lage ist unter ungünstigen Rahmenbedingungen eine Dickdarmentzündung bis hin zu blutigem Durchfall bei Einzeltieren zu provozieren. Ungünstige Rahmenbedingungen  können sein: Geburt, Transport, Futterwechsel, Überbelegung, Nüchterung vor Transport/Umstallung,  Impfmaßnahmen, Immunsuppression z.B. durch Mycotoxine oder PRRS- bzw. Circoinfektion, unzureichende Futterhygiene, Biofilme in Wasser- oder Futterleitungen.

Brachyspiren generell besiedeln den Dickdarm und werden bereits wenige Tage nach Infektion massenhaft mit dem Kot ausgeschieden. Da der Kot viel Mineralien enthält, wird er gerne von Buchtengenossen aufgenommen und so verläuft die Infektion innerhalb eines Bestandes recht schnell. Genesene Tiere bleiben latent infiziert und können in Belastungssituationen immer wieder Erreger ausscheiden und sind daher als Hauptansteckungsquelle für andere Schweine anzusehen.

Dysenterie ist hauptsächlich als Erkrankung von Masttieren bekannt, kann aber prinzipiell auch Zuchtsauen und Absatzferkel nach Verlust der maternalen Immunität betreffen.

Schadnager, Fliegen, unsaubere Fahrzeuge, Gülle und gerade auch Güllefahrzeuge spielen bei der zunehmenden Ausbringung durch Lohnunternehmen und dem gemeinsamen Betrieb von Biogasanlagen eine wichtige Rolle bei der möglichen Übertragung von Brachyspiren. Die Erreger können in Kot und Gülle gerade bei niedrigen Temperaturen mehrere Monate überlebensfähig bleiben.  

Eine vorbeugende Impfung gegen Brachyspiren ist derzeit nicht möglich, sodass bei Ausbruch einer durch Brachyspiren verursachten Durchfallerkrankung nur die medikamentelle Behandlung angezeigt ist. Dabei ist die teilweise schlechte Resistenzlage insbesondere von Br. hyodysenteriae und die verabreichte Dosierung in Höhe und Dauer zu beachten. Einzubeziehen in die Dosisberechnung sind hier die in aller Regel reduzierte Futteraufnahme (Dosiserhöhung!) und eine ausreichende Dauer der Medikation möglichst nicht unter drei Wochen und mindestens noch 2 Wochen nach Verschwinden der klinischen Symptome.

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